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im Haus Schwarzenberg
Rosenthalerstraße 39
10178 Berlin

fon +49.(0)30.308 725 76
fax +49.(0)30.282 90 33

Öffnungszeiten
mo - sa: 12 - 20h
so: 14 -19h


Anfahrt


Informationen zum Schwarzenberg e.V. und
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15.09 - 06.10.2006

TOTALISM? INSIDE ODER OUTSIDE TOTAL


Ausstellungseröffnung
am Freitag, den 15.09.2006 um 20.00 Uhr


Sandra Becker 01 | Luis Fernández Pons | Peter Kees | Beate Klompmaker | Jasmina Llobet | Andrea Loux |
Yvonne Paul | Gertrud Schrader

Kuratiert von Sandra Becker 01 und Yvonne Paul

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Acht zeitgenössische Künstler/Innen befragen während des Berliner Kunstherbstes 2006 die aktuelle Situation in der Bundesrepublik Deutschland nach totalitären Tendenzen. Das Haus Schwarzenberg bietet einen passenden historischen Rahmen für diese Ausstellung – die ältere und jüngste Geschichte des Viertels bildet sich hier nicht nur ab, sondern wird in einem lebendigen Zusammenhang erfahrbar: die Vertreibung und Ausrottung der europäischen Juden durch das NS-Regime zwischen 1933 und 1945; die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands.


In der Ausstellung werden allerdings weniger politische Systeme nach totalitären Strukturen untersucht; ausgehend von der Beobachtung, dass sich derzeit auch auf allen Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens immer stärker Strukturen etablieren, die totalitäre Züge aufweisen, befragen wir unseren ganz normalen Alltag mit künstlerischen Mitteln nach: TOTALISM?

Beate Klompmaker widmet sich den 1-€uro-Jobs, mit denen Langzeitarbeitslose eigentlich in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden sollen, was allerdings nur selten gelingt. Ihre signalrote „1-€-Job-Tüten“ zeigen die Absurdität und menschenverachtende Wirkung der 1-€uro-Jobs: Sie sind durchnummeriert, multifunktional, jederzeit verfügbar, flexibel an jedem Ort einsetzbar und ALLE sehen gleich aus - Eigenschaften, die nicht nur von „1-€uro-Jobbern“ verlangt werden. Dabei bleiben die 1-€uro-Jobber arbeitslos, tauchen aber nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf. Das Problem wird dadurch gelöst, das man die Arbeitslosen „verschwinden“ lässt.

Die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg durch Arbeitslosigkeit thematisieren auch Jasmina Llobet und Luis Fernández. So setzt sich die Videoinstallation „small talk“ ironisch mit den Seminaren und Coachings zur Optimierung der eigenen Persönlichkeit auseinander. Mit neongelben Plakatwänden schaffen die beiden spanischen Künstler einen ungemütlichen, kalten Rahmen für ihr „small talk“-Seminar – während eine harmlos aussehende Comicfigur das unpersönliche Videotraining moderiert.

Der interaktive Terminal „PSÜV (Psychisch-Sozialer-Überwachungsverein) - der TÜV für den Menschen“ von Peter Kees spielt mit unserer freiwilligen(?) Bereitschaft, sich einer entfesselten Wirtschaft mit ihren Forderungen nach Konsumorientierung, Eigenverantwortung, Effizienz und Kontrolle unterzuordnen. Der „PSÜV“ fordert den Menschen dazu auf, es der Maschine gleichzutun und sich auf seine Gesellschaftsfähigkeit checken zu lassen: „Für eine saubere und sichere Gesellschaft!“

Das Verflixte in der Sache liegt darin, das es NIEMANDEN gelingen kann, sich in ein perfektes menschliches Geschöpf zu verwandeln; wir ALLE scheitern also permanent. An dieser Stelle sammeln auch Sekten bzw. so genannte „konfliktträchtige Gruppen“ ihre Mitglieder ein: Sie versprechen ihren Anhängern die Entwicklung der eigenen Individualität zu einer höheren, gottgleichen Daseinsform, wenn sich der Einzelne freiwillig einem „höheren Wesen“ (Führer, Guru, Coach …) unterordnet, das die Verantwortung für ihn übernimmt. Einen der Tricks, mit denen ein „Guru“ seine Anhänger manipuliert, zeigt die Fotoinstallation „Interview“ von Sandra Becker 01. Als „Coach“ behauptet er, er könne an den sich symmetrisch verschönenden Gesichtszügen des Aspiranten sehen, wann dieser seine innere Wahrheit gefunden hätte: Diesen „idealen“ Zustand kann selbstverständlich nur der Coach erkennen, und der Aspirant wird zu einem Eingeweihten, wenn er ihm glaubt und bedingungslos vertraut. Eingesogen in eine hermetisch abgedichtete Welt, gibt es für diese Menschen nur noch die totale Zugehörigkeit (innen) oder die totale Feindschaft (außen). Eine Vermittlung zwischen „Außen“ und „Innen“ ist nicht mehr möglich, denn das Motto lautet: INSIDE-ODER-OUTSIDE-TOTAL.

Auch die Neuen Kommunikationstechnologien bieten ihren Nutzern die Möglichkeit, sich selbst zu verlieren und aufgehen zu können in einem allmächtigen Superprojekt. Die irritierende Selbstverständlichkeit, mit der sich jeder Internetnutzer an ihm völlig unbekannte Kontrollinstanzen ausliefert, thematisiert die Installation „ID-Metrie“ von Yvonne Paul. Die Haare der Künstlerin sind in durchsichtigen CD-Hüllen fixiert. Die sensiblen biometrischen Daten sind nicht mehr vor unbefugten Blicken geschützt, sondern im Gegenteil den Blicken aller Betrachter preisgeben. Der Datenschutz und die Wahrung der Intimsphäre sind hier nicht mehr möglich.

Die Installation „Orientierungen“ von Gertrud Schrader zeigt den Versuch einer zeichnerischen Aneignung visualisierter Daten aus dem Inneren des menschlichen Körpers. Hier wird das Eigenleben der digitalisierten Körper aus dem medizinischen Bereich vorgeführt, die nicht mehr deckungsgleich sind mit den realen, menschlichen Körpern. Dank der errechneten Bilder der bildgebenden Untersuchungsverfahren (Ultraschall, CT) hat die moderne Medizin den realen menschlichen Körper gegen einen „utopischen“, idealen, perfekten Körper ausgetauscht, der berechenbar und berechnet ist – die Verwirklichung des Neuen Menschen!

Die kleinste Keimzelle des INSIDE ODER OUTSIDE TOTAL zeigt Andrea Loux’ Videoinstallation „Roulette (vor und zurück)“: Die Kleinfamilie. Die Schweizer Künstlerin führt die Mutter-Vater-Kind-Einheit als Urform der hermetischen, geschlossenen Systeme vor. Hier werden die Techniken der manipulativen Interaktionen, der absoluten Machtspiele, des gnadenlosen Konkurrenzkampfes entwickelt und trainiert. Anscheinend fällt es uns schwer, diese Muster zu durchbrechen und unsere Welt NICHT danach zu gestalten. Es ist erstaunlich, dass wir uns selbst Strukturen und Situationen schaffen, die totalitäre Züge aufweisen, obwohl die durch Hannah Arendt vermittelte Erkenntnis auch heute noch richtig ist:

„(…) Für [Hannah Arendt] gilt nicht der alte Satz: So musste es kommen. Die Konstruktionen der Sinnzusammenhänge, die zu Kausalitäten in der Geschichte werden oder werden können; sind nicht als schlechthin zwingend gemeint. Denn erkannt, sind sie revidierbar. Es liegt am Menschen und nicht an einem dunklen Verhängnis, was aus ihm wird. (…)“

(Auszug aus dem Geleitwort von Karl Jaspers 1955 zu Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft; S. 12, Piper Verlag, 1986 München)

Sandra Becker 01 und Yvonne Paul

http://totalism.twoday.net